Bhutan: Zwischen Tradition und Moderne
Weniger als 30.000 Touristen bereisen das Himalaya-Königreich Bhutan pro Jahr. Jenseits des Massentourismus bieten Bhutan Studienreisen daher überwältigende Einblicke in die reiche buddhistische Tradition und die grandiose, nahezu unberührte Natur des kleinen Landes.
Bhutan, zu mehr als 80 Prozent auf einer Höhe von über 2000 Metern gelegen, hat etwa die Größe der Schweiz. Trotz seiner Lage zwischen den riesigen Nachbarn Indien und China ist es dem Land über Jahrhunderte gelungen, seine eigene Identität und Integrität zu bewahren, woraus sich ein nicht unbeträchtlicher Stolz der Menschen speist. In der Landessprache Dzongkha heißt Bhutan „Druk Yul“, Land des Donnerdrachens. In seinen heutigen Grenzen besteht das Königreich Bhutan seit dem 17. Jahrhundert, als der in Tibet geborene Shabdrung Ngawang Namgyel mehrere Fürstentümer einte. Seit 2006 regiert König Jigme Khesar Namgyel Wangchuk das Land, dessen Vater zuvor eine neue Verfassung eingeführt hatte, die Bhutan zu einer konstitutionellen Monarchie macht. Die Bürger können nun in freien Wahlen ein Zweikammerparlament nach dem Vorbild westlicher Demokratien wählen. Nur rund 700.000 Menschen bewohnen das Land, das bis in die 1960er Jahre praktisch von der Außenwelt isoliert war und sich auch danach nur langsam begann, sich nach außen zu öffnen. Selten passte das Bild von Tradition und Moderne, die nebeneinander existieren, besser zur Beschreibung einer Gesellschaft – und das macht eine Reise nach Bhutan so einzigartig.
Verankert in alten Traditionen: Von der Bedeutung des Buddhismus
Die politische Entwicklung Bhutans ist seit Jahrhunderten eng mit dem Buddhismus verknüpft, der Staatsreligion des Königreiches ist. Das heutige Staatsgebiet wurde im 9. Jahrhundert von tibetischen Mönchen besiedelt, die ihre Religion mitbrachten und hier gegen äußere Einflüsse verteidigten. Die befestigten Klosteranlagen, Dzongs genannt, sind architektonische Wahrzeichen dieser Entwicklung. Jeder der 20 Verwaltungsbezirke Bhutans hat seinen eigenen Dzong, in dem neben der politischen Administration des Bezirks immer auch eine Klostergemeinschaft untergebracht ist. Daneben gibt es unzählige Tempel sowie 5.000 Klöster im ganzen Land, darunter eines der bedeutendsten buddhistischen Pilgerziele, das Kloster Taktsang („Tigernest“). 3.000 Meter hoch, über dem Paro-Tal, gelegen, ist es nur mit einem mehrstündigen Fußmarsch zu erreichen. Für den anstrengenden Aufstieg belohnen den Besucher das großartige Bergpanorama sowie die einzigartige Atmosphäre der prachtvoll verzierten Klosteranlage.
Höhepunkte der buddhistischen Tradition Bhutans sind die Tshechus, die Maskentänze, die einmal im Jahr in den Dzongs abgehalten werden. Sie sind Teil mehrtägiger buddhistischer Feierlichkeiten, voll von Zeremonien, Riten und eben den Maskentänzen. Der Zeitpunkt der Durchführung richtet sich nach dem Mondkalender, wechselt also Jahr für Jahr. In den Tänzen stellen die Mönche Mythen und Sagen nach, die Episoden aus der Geschichte Bhutans beinhalten und deren Symbolik sich mit dem Sieg des Guten über das Böse beschäftigt. Dabei tragen sie kunstvoll geschnitzte und verzierte Masken und aufwändig gestaltete Kostüme – Bilder davon fehlen in keinem Reisebericht über Bhutan. Diese Tanzfeste haben aber nicht ausschließlich religiöse Bedeutung, sie sind für die Bhutaner ein wichtiges gesellschaftliches Ereignis, auf das man sich schon Monate vorher freut. Besucher sind übrigens herzlich willkommen und wer eine Reise nach Bhutan plant, sollte den Termin so wählen, dass dann eines dieser Feste besucht werden kann. Mit Sicherheit wird dies ein Höhepunkt aller Bhutan Reisen sein.
Der Alltag der Bhutaner ist stark vom Buddhismus geprägt und auch abseits der Klöster und Tempel begegnen dem Besucher fast überall Spuren der tiefen Religiosität. Zahlreich sind die heiligen Schreine, Chorten oder Stupa genannt, die zur Erinnerung an die Toten errichtet werden. Steht man vor einem solchen Schrein, muss man ihn zur Ehrerbietung gegenüber dem Toten einmal im Uhrzeigersinn umrunden – dies gilt auch für Touristen. An Häusern, auf Feldern, aber auch weit außerhalb bewohnter Orte, an Bäumen oder auf Berggipfeln etwa, wehen bunte Gebetsfahnen im Wind. Am Wegesrand entdeckt man immer wieder sogenannte „Tsa-tsas“, kleine Schutzgottheiten aus Lehm, denen die Menschen ihre Wünsche anvertrauen. Und schließlich sind auch die buddhistischen Mönche in ihren weinroten Gewändern, die man anfangs ob ihrer Farbenfreude bestaunt, aus dem Straßenbild nicht wegzudenken. Die Religiosität der Menschen beeinflusst auch das Konzept des Tourismus, wie er in Bhutan organisiert wird: So gibt es zwar die Möglichkeit Trekkingtouren mit unterschiedlichem Schwierigkeitsgrad zu absolvieren, Bergsteigen ist jedoch verboten, um die auf den Gipfeln lebenden Geister nicht zu stören.
Fortschritt in Maßen: Übernommen wird nur, was sinnvoll erscheint
Nachdem Bhutan über Jahrzehnte praktisch von der Außenwelt abgeschirmt war, erfolgt seit einigen Jahren eine Öffnung und allmähliche Modernisierung des Landes. So gibt es erst seit 1999 Fernseh- und Internetanschlüsse und erst nach und nach werden ländliche Haushalte an das Stromnetz angeschlossen. Die Regierung Bhutans ist jedoch bemüht, nur solche Neuerungen zu übernehmen, die als nutzbringend für das Land angesehen werden. Auch die Bhutaner selbst suchen sich den für sie besten Weg zwischen Tradition und Moderne. Fast alle Bürger tragen auch im Alltag die Nationaltracht, nur gelegentlich sieht man Jugendliche in Jeans und Lederjacke. Bezeichnend ist auch die Anekdote, wonach die erste Verkehrsampel in der Hauptstadt Thimpu nach kurzer Zeit wieder abmontiert wurde, da die Bewohner sich nicht damit anfreunden konnten, bei rot zu warten, vor allem, wenn gerade kein anderes Auto auf der Straße war. Nun regelt wieder ein Polizist den Verkehr.
Thimpu dürfte zu den beschaulichsten Hauptstädten der Welt zählen. Kein Vergleich mit den Metropolen der großen Nachbarn China oder Indien oder auch dem nepalesischen Kathmandu. Allerdings hält auch hier der Fortschritt Einzug und in immer größerer Geschwindigkeit entstehen neue Gebäude. Sogar ein Einkaufszentrum gibt es inzwischen. Vor wenigen Jahren war es fast unmöglich, dass Teilnehmer von Bhutan Studienreisen eine Schule, ein Kloster oder einen privaten Haushalt besuchten, so streng wurden die Bhutaner von fremden Einflüssen abgeschirmt. Heute dagegen steht einem freundlichen Austausch zwischen Einwohnern und Besuchern nichts mehr im Weg und die freundliche und offene Art der Bhutaner macht es dem Besucher leicht, miteinander ins Gespräch zu kommen. Dabei hilft, dass viele Bhutaner Englisch sprechen, das schon in der Grundschule gelehrt wird. Auch die wichtigsten Tageszeitungen erscheinen sowohl in der Landessprache Dzongkha wie auch auf Englisch. Für Besucher ist es daher problemlos möglich, sich mit einer Ausgabe der „Bhutan Times“ oder des „Bhutan Observer“ über die neuesten Entwicklungen vor Ort zu informieren und anschließend mit den Einheimischen darüber zu diskutieren.
Neben dem Englischunterricht wird der Schulbildung auch sonst großer Wert beigemessen. Der Schulbesuch ist bis zum zehnten Schuljahr kostenlos. Bhutan ist jedoch immer noch eines der ärmsten Länder der Welt, allerdings stellt sich die Armut, anders als in vielen anderen Entwicklungsländern, nicht so offensichtlich und in Form von Elend dar, etwa wie in den Städten des großen Nachbarn Indien. Die kleinbäuerliche Lebensweise ermöglicht vielen Bhutanern, als Selbstversorger zu leben. Auch jene, die kein zusätzliches Einkommen haben, sind dadurch ausreichend mit Lebensmitteln versorgt. Außerdem ist die Gesundheitsversorgung für alle Bhutaner umsonst, auch dies sorgt für einen höheren Lebensstandard als in vielen anderen als arm geltenden Ländern.
Bhutans Entwicklungsstrategie ist von den buddhistischen Traditionen beeinflusst. Statt wie die meisten Länder alleine auf Wirtschaftswachstum zu setzen, hat Bhutan sich in seiner Verfassung das Ziel des „Bruttosozialglücks“ verordnet. Diese Idee geht auf den Vater des amtierenden Königs zurück, welcher der Auffassung war, dass Entwicklung vor allem eine spirituelle Verankerung der Menschen in ihren Traditionen erfordert, nur dann kann auch Wachstum Positives bewirken. Es wird spannend sein zu verfolgen, wie die Bhutaner diesen Prozess weiter fortführen.
Ebenfalls in der Verfassung festgeschrieben hat Bhutan den Umweltschutz. Große Naturschutzgebiete sollen den Artenreichtum und die Waldflächen erhalten. Letzteres ist von großer Bedeutung, denn Bhutan ist zu etwa zwei Dritteln bewaldet, was fast kein Land der Erde infolge von Abholzung und Rodung für Ackerflächen mehr ist. Bhutan ist bemüht, die wirtschaftliche Entwicklung durch den Tourismus zu fördern, geht dabei aber einen Sonderweg, nämlich, den Tourismus streng zu reglementieren. Das Beispiel Nepals, das zum Paradies der Rucksackreisenden wurde, gilt als abschreckend. Somit sind die Hürden für Bhutan Reisen hoch – doch sie zu nehmen lohnt sich. Die Einreise kann nur über die staatliche Fluglinie Druk Air erfolgen und Besucher müssen mindestens 200 US Dollar pro Tag ausgeben. Verrechnung mit Unterkunft und Verpflegung ist möglich. Auch ist es nicht möglich, das Land auf eigene Faust zu bereisen, ein Guide und ein Fahrer müssen den Gast begleiten, auch dies ein Tribut an das Bemühen der Regierung, Tourismus, Naturschutz und Erhalt der bhutanischen Traditionen in Einklang zu bringen.
Bhutan: Das letzte „Shangri-La“?
Bhutan gilt vielen Reisenden als das letzte Shangri-La, das letzte Paradies auf Erden. Nun, ein reines Paradies ist auch Bhutan nicht, wie erwähnt hält auch hier die Moderne Einzug und viele Bhutaner sind arm, auch wenn dies dem Besucher, überwältigt von den farbenfrohen Gewändern und malerischen Holzhäusern, nicht auf den ersten Blick auffallen wird.
Dennoch ist eine Bhutan Reise jeden einzelnen Euro wert. Die reiche Tradition und Kultur des Landes gepaart mit der überwältigenden Natur sind einfach spektakuläre Erlebnisse, die selten geworden sind im 21. Jahrhundert. Abseits des Massentourismus fühlt man sich, als wäre man unter den Ersten, die Bhutan bereisen dürfen – nicht selten ist man der einzige westliche Besucher an einem Ort. Überall wird man herzlich aufgenommen, sodass man sich nicht wie ein Fremder, sondern kurz nach der Ankunft als willkommener Gast fühlen wird. Eine Reise nach Bhutan gehört daher zu den außergewöhnlichsten touristischen Besonderheiten, die es auf der Erde noch gibt und noch lange nach der Rückkehr aus dem Himalaya-Königreich wird man von den vielen überwältigenden Eindrücken zehren.